Powerzettel-Sekte

Manchmal hindert uns die Sprache, Dinge richtig benennen zu können. Denn nicht immer gibt es einen passenden Ausdruck für ganz bestimmte Begebenheiten. In diesem Fall ist es oft hilfreich einfach ein neues Wort zu erfinden. Ab und zu kann es aber auch nützlich sein ein bestehendes Wort einfach zu “missbrauchen“, um ein bestimmtes Detail hervorzuheben.

Schauen wir uns mal das Wort „Sekte“ an. Bedeutungsübersicht laut Online-Duden:

  1. (veraltend) kleinere Glaubensgemeinschaft, die sich von einer größeren Religionsgemeinschaft, einer Kirche abgespalten hat, weil sie andere Positionen als die ursprüngliche Gemeinschaft betont, hervorhebt

  2. (meist abwertend) kleinere Gemeinschaft, die in meist radikaler, einseitiger Weise bestimmte Ideologien oder religionsähnliche Grundsätze vertritt, die nicht den ethischen Grundwerten der Gesellschaft entsprechen

Religionen begleiten die menschliche Evolution schon sehr lange. Der Mensch neigt dazu sich Unerklärliches erklären zu wollen. Unser Gehirn dürstet also irgendwie danach, wissen zu wollen. Es gibt uns Sicherheit, wenn wir uns die Welt erklären können. Alles hat dann seinen zugewiesenen Platz, alles hat seine Ordnung.

Was Ordnung ist, ist relativ und subjektiv. Jeder Mensch hat im Grunde sein eigenes Ordnungsempfinden, je nachdem was für ihn Unordnung ist.

Die menschlichen Gesellschaftsformen waren auch meistens sehr stark mit einer genau definierten Religion verknüpft. Was auch irgendwie logisch ist. Denn wenn sie in hierarchischen Strukturen eingebunden sind, dann geben die Oberhäupter den Ton an. Dadurch dass es sich hier um Menschen handelt, gibt die Ideologie des Oberhaupts im Endeffekt den Ton an. Also wird nach dieser Musik getanzt.

Evolution ist in Bewegung und immer wieder weht ein neuer Wind.

Die Gesellschaftsführung und Religion wurde entkoppelt und Demokratie entstand. 

„Demokratie“ laut Online-Duden:

1.a. politisches Prinzip, nach dem das Volk durch freie Wahlen an der Machtausübung im Staat teilhat

   b. Regierungssystem, in dem die vom Volk gewählten Vertreter die Herrschaft ausüben

2. Staat mit demokratischer Verfassung, demokratisch regiertes Staatswesen

3. Prinzip der freien und gleichberechtigten Willensbildung und Mitbestimmung in gesellschaftlichen Gruppen

Freie Wahlen, Teilhabe, Gleichberechtigung, Mitbestimmung. Wow, das klingt ja nach was, nur Vorteile, das will ich auch.

Aber wie bei jeder Werbung, gibt es auch eine versteckte Seite, die einem nicht aufs Auge gedrückt wird, ganz bewusst.

Unsere Gesellschaft ist eine riesige Gruppe von Menschen, die an verschiedene Dinge glaubt. Unsere mitteleuropäische, moderne Gesellschaft ist eine große “Sekte“. Sie glaubt an einen mächtigen Geld-Gott, an Bildungs-Hierarchien, an Wissenschafts-Propheten, an Produktions-Tugenden und an Globalisierungs-Visionen.

Der Spruch: „Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr“, könnte erklären, warum uns das oft nicht bewusst ist. Das große Ganze kann oft nicht gesehen werden, wenn man mitten drinnen steht. Es entzieht sich unserer möglichen Betrachtung.

Das Wort „Sekte“ ist natürlich nicht ganz korrekt gewählt für diesen Vergleich, aber es kann vielleicht etwas verdeutlichen, was andere Wörter nicht können. Denn eine Sekte hat eine sehr starke Auswirkung auf den Einzelnen. Er selbst würde dies nie behaupten, weil er unter Seinesgleichen ist. Alles hat seine Ordnung.

Die tiefverwurzelten Ideologien haben aber sehr weitreichende Auswirkungen, die man nicht verschleiern sollte. Und die definierte Ordnung, ist nun mal eine subjektive. Sie hat genauso wenig Anspruch auf Wahrheit oder Richtigkeit, wie jede andere definierte Ordnung. Denn jede Religion oder Sekte geht auch davon aus, dass sie die ultimative Wahrheit in den Händen hält. Sie alle wedeln mit ihren in Stein gemeißelten, alle betreffenden, universalen Regeln herum, an die sich jeder halten sollte, um ins Paradies gelangen zu können. Sie alle definieren einen einzig wahren Lebensweg. Alle Abweichungen sind verwerflich.

Jede Sekte hat auch immer einen anbetungswürdigen, übermenschlichen Anführer. Er ist der Ursprung und nur er kennt den wahren Weg. Wer könnte das in meiner Metapher sein? Unter wen oder was unterwerfen wir uns alle? Wer oder was bestimmt den richtigen Weg?

Ich schau mir mal das Wort „Gott“ im Online-Duden an:

  1. (im Monotheismus, besonders im Christentum) höchstens übernatürliches Wesen, das als Schöpfer Ursache allen Geschehens in der Natur ist, das Schicksal der Menschen lenkt, Richter über ihr sittliches Verhalten und ihr Heilsbringer ist

  2. (im Polytheismus) kultisch verehrtes übermenschliches Wesen als personal gedachte Naturkraft, sittliche Macht

Ein übermenschliches Wesen also, hmm. Ein Wesen das mehr ist als ein Mensch. Das das Schicksal lenkt. Das Macht über mich hat.

Jetzt abgesehen davon, warum ich sowas glauben will (!), frage ich mich gerade, ob das auch ein Gegenstand sein kann? Mit großer Wahrscheinlichkeit.

Ich stelle mir gerade einen Zettel vor, den ich irgendwie bedrucke und ihm dann eine Macht zuschreibe. Sagen wir mal: „Dieser wunderschöne Zettel hat die Kraft mich wertvoll zu machen, er gibt mir Chancen im Leben, die ich ohne ihn nicht habe, er ermöglicht mir Ansehen. Er leitet mich und gibt mir Sicherheit.“ Also ich nenne diesen Papierfuzel jetzt „Powerzettel“. Quasi ein Papier-Gott. Er ist Schöpfer allen Geschehens, lenkt mein Schicksal, ist Richter über meinen Wert, und Heilsbringer.

Klingt das unrealistisch? Finde ich nicht. Man kann ja statt „Powerzettel“ auch „Geld“ sagen, kommt auf das Gleiche raus, oder?!

Beten wir hier einen Gott an? Lebe ich in einer Sekte? Oder ist das alles nur Mittel zum Zweck? Und für welchen?

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