Halbzeit. Man könnte es auch als inneren Boxenstop ansehen. Auftanken, durchchecken und gegenbenenfalls umrüsten. Von Zeit zu Zeit ist dies ein unumgänglicher Vorgang in mir, vieles ist dazugekommen, einiges erst richtig verarbeitet und anderes vielleicht noch im Schlafmodus. Aber es hilft mir, wenn ich eine Pause einlege, mir Zeit nehme und Dinge sich verschieben und positionieren können.
Das neue Bild ist spannend und oft auch schwer zu verkraften. Es kann einen tief berühren, da es tiefliegende Sachen an die Oberfläche gebracht hat und sich schon mit greifbaren Dingen verknüpft hat. Wie ein Fisch an der Angel, zappeln jetzt die neuen Erkenntnisse herum. Werde ich sie einholen können, oder erschreckt mich das glitschige Wilde?
Soll ich den Fisch töten, oder wieder ins Wasser werfen? Kann ich ihn betrachten und dann wieder im Wasser verschwinden sehen, ohne zu vergessen?
Ich werde nicht vergessen. Denn ich habe ihn angefasst, gespürt und gehalten. Sein Zappeln ausgehalten, bis er ruhig wurde. Habe sein schnapphaftes Atmen beobachtet und seine glatte Oberfläche auf meinen Händen gespürt. Habe zugepackt, festgehalten. Und dadurch wird mir das Loslassen viel einfacher fallen, ich kann ihn aus meinem festen Griff wieder hinausflutschen lassen, hinaus in die Freiheit. Seine oder meine? Eine Freiheit von uns beiden.
Er war bei mir und darf jetzt wieder für sich sein. Dieses Privileg wird auch mir zuteil. Ich darf wieder ich sein, ohne ihn.
So ein Boxenstop, ist nichts für zimperliche Gemüter. Man muss die Stille aushalten können. Aushalten, dass man nicht aufs Gas treten kann. Man muss aushalten können, die Kontrolle abzugeben, dem Team vertrauen. Schwieriges Unterfangen. So dazustehen und zu warten, bis es wieder los geht, für einen selbst. Aber mit abgefahrenen Reifen und ohne Treibstoff fährt es sich einfach nicht so gut.
Ich muss gestehen, dass meine Metapher ein wenig hinkt. Denn sie impliziert, dass man nur mit anderen Menschen seinen Treibstoff auffüllen kann. Leider können es aber genau diese anderen Menschen sein, die einem den noch vorhandenen Treibstoff klauen. Also den falschen Menschen zu vertrauen, sich in deren Hände zu begeben ist nicht immer ein Segen. Man sollte also keinen Boxenstop beim Konkurrenzteam machen. Auch wenn man noch so an das Gute im Menschen glaubt, ist das einfach keine kluge Wahl. Irgendwo hat das positive Denken auch seine Grenzen.
Man wird dann enttäuscht sein und verlieren. Auch wenn man selbst gar nichts Schlechtes gemacht hat und sich überaus bemüht hat. Hat man sich nicht bemüht, die Welt und die Menschen von ihrer besten Seite zu sehen?
So ist die Welt aber nicht. Und meine ideale Vorstellung davon, wird hier auch keine Berge versetzen. Mein wohlwollendes Verhalten, wird nicht einfach wieder wohlwollendes Verhalten erzeugen. Hier besteht anscheinend eine andere Dynamik, andere Gesetze.
Schwierig. Denn wenn ich diese Gesetze akzeptiere, dann kann sich nichts ändern. Auf der anderen Seite kann ich sehr viel Energie dabei verlieren Dinge verändern zu wollen, die nicht verändert werden können.
Das sehr bekannte Gelassenheitsgebet ist da wieder einmal genau richtig:
Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Auf den Punkt gebracht, aber es ist verdammt schwierig es umzusetzen. Denn es beschreibt nicht einen Fakt oder eine Anleitung. Es beschreibt ein Prozessergebnis das jeder für sich erarbeiten muss, jeder für sich, in jeder einzelnen Situation.
Für mich waren immer schon diese diffusen Grenzen unheimlich, beziehungsweise unangenehm. Hier gibt es einfach keine klaren Antworten. Diese Antworten sind nicht recherchierbar.
Das würde auch schön erklären, warum wir die großen Fragen des Lebens nicht einfach in Wikipedia nachschlagen können. Denn hier helfen uns keine Wissensanhäufungen, Studien oder Expertenmeinungen. Hier sind wir gefragt. Wir können uns zwar weltbekannte Zitate hernehmen, aber um sie wirklich zu verstehen bedarf es einen langen Weg. Wir müssen uns dieses Zitat be-greifbar machen, die Angel selbst auswerfen, den Fisch packen und erfühlen. Da können wir noch so viel vom Angeln lesen, wir müssen schon die Erfahrung machen, um das Gelesene auch in seiner Tiefe verstehen zu können.
Darum reicht es einfach nicht, wenn wir seit tausenden Jahren Menschen haben die sich Gedanken machen und dieses Wissen dann indirekt über Bücher weitergeben. Wir brauchen lebendige Menschen die uns begleiten es selbst herauszufinden. Die Geduld aufbringen, sich mit uns hinzusetzen und uns Fischen lassen, in unserem Rhythmus, auch wenn sie es selbst viel besser wissen oder könnten. Denn hier geht es nicht um Geschwindigkeit, es geht um eine vollwertige Erfahrung. Also keine Fastfoodkost, sondern eine reichhaltige Nahrung, die uns voll und ganz sättigt.
Dies setzt voraus, dass der Angelmentor selbst schon viel Erfahrung beim Fischen sammeln konnte und sich tiefere Wahrheiten erarbeitet hat. Er muss niemanden mehr Faktenwissen aufdrängen oder belehren, weil er erkannt hat, dass dies sowieso gar nichts bringt. Er wird begleiten und teilen. Er wird ermutigen und fördern. Er wird beobachten und teilnehmen. Und am Ende wird er ein Fisch sein, den man packt und betrachtet.