Unendlichkeit

Wie erklärt man jemanden was Liebe ist, wenn er nie umarmt, nie geküsst wurde? Wenn er nie berührt wurde, tief in seinem Inneren? Wie erklärt man jemanden was Wut ist, wenn er nie um sich kämpfen musste? Wie erklärt man jemanden was Schmerz ist, wenn er nie verletzt wurde? Wie erklärt man jemanden Farben, wenn er blind ist?

In manchen Fällen ist es ein Segen, nicht zu wissen. Sich in dieser Unwissenheit auszuruhen und einfach zu sein. Wir dürfen auch nicht wissen. Wir dürfen auch nicht wissen wollen. Ja, ich denke, wir müssen uns dies auch erlauben, uns und anderen.

Aber wir dürfen auch vieles andere. Wir dürfen lachen, wenn uns danach ist. Wir dürfen wütend sein, wenn wir wollen. Und wir dürfen weinen, wenn es unser Bedürfnis ist. Wir haben nicht nur ein Recht darauf, wir kreieren damit ein Bild von einem Menschen, welches ganzheitlich ist. Nicht abgeschnitten von bestimmten Teilen von sich. Er ist alles und nichts.

Er ist heitere Freude, tiefe Traurigkeit und rasender Zorn. Er ist aber auch nichts davon. Darf schweben in einer Unendlichkeit, ohne all dem. Sich tragen lassen von dem Moment. Von der Umgebung, von anderen Menschen, von fremden Gefühlen. Er darf sich berühren lassen von der Welt, ohne zu wissen, ohne sich festzuhalten oder zu entscheiden. Er darf glatt wie Marmor sein.

Wir dürfen uns berühren, an den glänzenden, feingeschliffenen Oberflächen. Dürfen daran sanft hinuntergleiten, wie Wassertropfen. Dürfen harte Grenzen, als Grenzen lassen. Statuen als ein Statement des Daseins akzeptieren. Dürfen weiterziehen, wenn es uns beliebt.

Wir dürfen aber auch zärtlich nach Einlass fragen. Dürfen nach Rissen forschen. Dürfen unsere Hand auf die unbewegliche Oberfläche legen und Druck ausüben. Wir dürfen an die Kraft und Energie glauben, die wir haben. Dürfen Wellen aussenden, auch wenn sich noch verhallen. Dürfen geduldig warten, bis das Harte weich wird und die Hand langsam eintaucht. Wir dürfen fühlen was uns begegnet, dürfen vertrauen, dass es aushaltbar ist.

Wir könnten erkennen, dass Verbundenheit nicht an der massiven Grenze entsteht. Nicht bei dem glatten marmorierten Bildnis, welches ich betrachten will. Sondern dort, wo ich mich selbst nicht berühren kann. Dort, wo meine eigene Hand keinen Zugang hat.

Dort ist der Ort, wo wir aufgenommen werden. Dort wird das Universum zu uns und wir zu ihm.

Hier brauchen wir nichts mehr zu erklären. Hier braucht man keine Augen um zu sehen. Es ist eine Sprache, die keinen Verstand braucht. Sie wird gesprochen in leisen Atemzügen, in pulsierenden Adern, in klopfenden Herzschlägen und vibrierender Stille. Sie wird gesprochen in einem stillstehenden Moment, wo ein freundlicher und tiefdurchdringender Blick auf einem weilt, der dich wirklich erkennt. Der sich in dir verlieren kann, weil er sich nicht fürchtet, weil er ertragen kann was du trägst. Es ist ein furchtloser Blick, ohne Grenzen.

Dies muss man selbst ertragen können, diese Tiefe. Es ist ein Hinabgleiten in die Dunkelheit des Meeres, ohne zu wissen, wann man wieder aufatmen kann. Aber auch dies darf man, sich fallenlassen, loslassen, treiben lassen. Sich treiben lassen auf dem Blick ins Unendliche.

Es ist nicht einsam, es ist die Essenz der Verbundenheit. Hier existiert der Rhythmus des Lebens. Wellen die einen hinauf- und hinabtragen. Dich umschließen und wieder verlassen. Dich begleiten, hier und in der Unendlichkeit.

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