Der Sand (6)

Mein Kopf erhebt sich aus dem kühlen Nass, wie eine Decke entblößt es mein Gesicht. Die Wassermasse rinnt meine Haare herunter. Durchnässt und doch in ihrer Struktur erhalten legen sich die Haare an meine Kopfhaut.

Ich begebe mich Richtung Strand. Meine Zehen greifen tief in den Untergrund, meine Knie strecken sich durch. Mein Gang wird sicherer. Mein Kopf leicht.

Ich spüre Wassertropfen von meinen Harren heruntertropfen, sie sind kühl. Treffen auf meine Haut wie kleine weiche Gewichte, die mit dem Aufprall ihre Schwere verlieren. Sie werden zu lauwarmen Pfützen auf meiner Grenze zur Welt. Kleine Flüsse bahnen sich einen Weg zum durstigen Sand.

Ich spüre eine leichte Brise die mich umgibt, die mich einhüllt, wie in einem Kokon. Ein schwereloses Gewand, eine luftige Gestalt die einen umschlingt und hält. Sie hält nicht fest, sie gibt meiner Form nach. Umspült mich wie einen Stein im Fluss.

Ein leichtes Frösteln durchzieht meinen Körper, lassen meine feinen Härchen aufstellen. Wie eine elektrische Welle, die meine Körperzellen vorwärts drängt, vorwärts spült.

Mein Rücken nimmt die Wärme der aufgehenden Sonne wahr. Auch sie bahnt sich ihren Weg frei, hinauf in die höchst mögliche Höhe. Will sich recken und strecken. Möchte ihre brodelnde Energie bis über Millionen von Kilometern verbreiten. Darf ihre unscheinbaren, fadenartigen Arme bis zu mir ausstrecken und mich am Rücken anstupsen. Darf Kontakt aufnehmen, darf kommunizieren.

Ich werde antworten.

Ich knie mich hin. Greife beherzt in den von mir befeuchtetet Sand. Grabe meine nackten Hände tief hinein. So viele kleine Körnchen, so viel Masse, so viel Zeit. Zeit bis sie so klein wurden, damit sie so eine wunderschönen Teppich aus sanft nachgebenden Steinen wurden. So stark und doch so nachgiebig.

Hart und knirschend widersetzt er sich meinen Bewegungen nicht. Die Form wiederrufend, lässt er sich willig kneten.

Ich muss lachen. Es sind auch meine Hände, die nachgeben. Es sind meine Bewegungen die Raum geben für dieses Spiel. Die Druck aufbauen und wieder nachlassen.

Ich drücke mit meinen Händen meine Oberschenkel zusammen. Vom Sand überdeckt reiben sie leicht schmerzhaft auf der Haut. Der Druck erzeugt ein Wohlgefühl. Es erzeugt ein elastisches Band von den Zehenspitzen zum Haaransatz. Eine Verbindung vom Anfang zum Ende, von vorne nach hinten, von oben nach unten.

Ein lebendiger Baum in mir, mit gummiartigen Ästen, in denen kleine, feuerartige Explosionen gezündet werden und über die unüberschaubaren Verzweigungen weitergeschoßen werden. Ein friedliches Kriegsgebiet mit Feuerwerk, Geschossen und Weitstreckenraketen.

Ich spitze meine Ohren. Höre keinen Lärm, keinen Aufprall. Und doch sind es gewaltige Detonationen. Detonationen auf der mikroebene. Keine vernichtenden, schockartigen, zerstörenden Explosionen. Es sind Explosionen der Lebensenergie. Wie ein aufgeschreckter riesiger Schmetterlingsschwarm, der sich in einen einzigen Moment in die Lüfte begibt und den Himmel ausfüllt. Eine Masse an Leben und Bewegung.

Ich greife noch einmal in den Sand und packe mir eine Handvoll davon. Werfe sie in einer dynamischen Bewegung in die Luft. In Zeitlupe verlässt die kompakte Masse meine Hand und gleitet hinüber in ihre einzelnen Bestandteile. Für einen Moment schwebt jeder geschliffene Stein in den Wolken der Bewegung. Werden für einen Wimpernschlag durch mich zu einer anderen Existenz ermutigt. Dürfen sich lösen und die Schwerelosigkeit fühlen. Dürfen einen Seufzer nach entkommener Reglosigkeit von sich geben. Um sich danach wieder rollend in ihr Bett zu schmiegen. Ein Bett der Gleichheit und Verbundenheit.

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