Abgrenzung

In „Toduko“ habe ich darüber geschrieben, dass es mehrere Probleme geben kann, bei der Benutzung von Fachausdrücken. Aber ich habe jetzt noch ein Beispiel, bei dem es gar nicht direkt um einen Fachausdruck geht, sondern eher um das Gegenteil. Und auch das kann viel Verwirrung stiften.

(Ich muss hier noch einmal darauf hinweisen, dass meine Aussagen keinen 100%-igen Wahrheitsgehalt haben, auch wenn sie so klingen mögen. Dies rührt einzig und allein daher, dass ich davon überzeugt bin, was aber eben überhaupt kein Indiz für Richtigkeit ist.)

Das dubiose Wort heißt „Abgrenzung“.

Beginnen wir mal mit Informationen. Nehmen wir uns mal den Online-Duden her. Synonyme sind: Begrenzung, Diskriminierung, Grenze, Schranke, Trennung, Unterschied.

Bedeutungen laut Duden für „abgrenzen“: 

  1. von etwas durch eine Grenze abtrennen

  2. etwas, sich durch genaue Bestimmung von etwas, jemanden trennen, absetzen

  3. sich distanzieren, von jemandem, einer Sache absetzen

Der Begriff „Abgrenzung“ wird im psychosozialen Bereich sehr häufig und gerne gebraucht. Er wird meistens als Synonym für Selbstschutz oder Psychohygiene benutzt. Obwohl auch diese Begriffe schwammig sind.

Das Wort an sich suggeriert eindeutig, dass es um eine aktive Aktion geht, die man durchführen muss, wenn man sich schützen möchte. Es geht um Distanz und Grenzen setzen. Und genau da habe ich meine Ohren gespitzt. Denn was bedeutet das emotional für die Personen? In den meisten Fällen war eine Emotion ganz deutlich: Wut. Also quasi so: „Jetzt reicht es mir!“

Und das passt auch gut zusammen, denn warum muss ich vor einem Freund eine Linie ziehen und auf eine Grenze beharren, wenn alles gut ist zwischen uns?!

So, für mich war intuitiv klar, dass dieses Wort eine Welle ausgelöst hat, die echten Schaden anrichtet. Denn wenn Menschen in sozialen Berufen wirklich glauben, dass sie sich vor den anderen schützen müssen, dann kann das ja mit dem Beziehungsaufbau nicht funktionieren.

Ich habe auch immer mehr mitbekommen, dass dieses Wort mit viel Inbrunst verwendet wurde, ohne dass es wirklich verstanden wurde, oder geprüft wurde. Es wurde einem in der Ausbildung nahegelegt und jetzt macht man das auch so. Aber was man da eigentlich tut, ist nicht so klar.

Grundsätzlich glaube ich (meiner Meinung nach), wurde einem Wort ein ganz anderer Sinn zugesprochen. Das Wort ist so einfach, also es wirkt so, als könnte man es verstehen, auch wenn man kein Hintergrundwissen hat. Leider ist das komplett falsch!

„Abgrenzung“ bedeutet in seinen Grundfesten was ganz anderes. Ab und zu tauchen diese Aspekte noch auf, aber im Grunde sind sie überdeckt von dem vorherrschenden umgangssprachlichen Sinn.

So jetzt kommen wir zu meiner ganz persönlichen Sichtweise:

  1. Abgrenzung hat nichts mit „Grenzen setzen“, sondern mit „Grenzen erkennen“ zu tun.
  2. Abgrenzung könnte man auch so benennen: „Ah, ab hier ist meine Grenze.“
  3. Abgrenzung sollte kein kriegerischer Akt oder eine übereifrige Aktion sein.
  4. Abgrenzung ist Bewusstsein bzw. ein Auf-sich-selbst-besinnen.
  5. Abgrenzung hat etwas mit Selbsterkenntnis und Liebe zu tun.
  6. Abgrenzung hat nicht im Fokus jemanden auszuschließen.
  7. Abgrenzung hat nicht im Fokus sich von jemanden zu distanzieren.

Abgrenzung ist eigentlich ein irreführendes Wort, dass muss ich zugeben. Und vielleicht ist es auch genau so gemeint, wie im Duden. Vielleicht soll es wirklich eine Notlösung in überfordernden Situationen sein, um sich zu schützen. Aber so lange mir das nicht eindeutig vor die Füße gelegt wird, beharre ich auf eine andere Sicht, die mir eindeutig sinnvoller erscheint.

Ich schmeiß jetzt mal das Wort in den Mistkübel, weil es so oder so nur Verwirrung stiftet. Ich nenne es jetzt „Selbststärkung“. Ja das gefällt mir mal vorerst.

Was ist Selbststärkung? Neuer Definitionsversuch:

Selbststärkung ist ein aktiver Prozess, der von einer Person ausgelöst wird, um sich wieder zu erden bzw. in psychische Balance zu kommen. Zur Selbststärkung bedarf es ein Gefühl zum Selbst, also zum eigenen inneren Wesenskern. Es bedarf ein Bewusstsein über seine eigenen Werte und seiner eigenen Identität. Wenn dieses Selbstbild gefestigt ist, kann die Person nach überfordernden und übergriffigen Situationen wieder zu diesem Bild zurückkehren und sich selbst von innen aufbauen. (So wie, wenn Asterix und Obelix den Zaubertrank trinken und danach in die Luft gehen, vor lauter Energie. Kann man seinem Herzen einen Schluck Selbstbewusstsein einflößen.)

Durch den Fokus auf sich selbst entsteht ein Paradox. Die natürlichen Grenzen die ich dann als Mensch ausstrahle, werden vom Gegenüber wahrgenommen und dieser entspannt sich. Denn es gibt Sicherheit, wenn sich jemand seiner selbst bewusst ist. So kommt es, dass die Selbststärkung, das Auf-sich-selbst-besinnen Verbundenheit und Nähe hervorruft. Es lädt ein und signalisiert: Ich halte dich aus. Ich halte mich und dich aus. Ich koste mir selbst null Energie, also kann ich mich auf dich konzentrieren.

Und jetzt zum Kontrast können wir uns noch einmal die alte Sicht hernehmen. Abgrenzung, wo es um „Grenzen setzen“ und „Distanz schaffen“ geht. Vielleicht spürt man jetzt, dass es da um eine vollkommen andere Energie geht, eine vollkommen andere Richtung.

Wenn ich ein Kind wäre, würde ich mir nicht wünschen ein Gefühl zu haben, dass sich Menschen von mir abgrenzen oder sich von mir distanzieren. Und noch schlimmer wäre es, wenn ich das Gefühl habe, dass sich Menschen von mir abgrenzen und distanzieren müssen(!). Weil ich anscheinend so furchtbar bin.

Mein Fazit: Wörter haben Macht. Interpretationen von Menschen noch viel mehr!

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