Das Feuer (5)

Meine Füße berühren noch immer den Boden der Welt, und doch fühle ich mich wie in einem schwebenden Zustand. Kein befreiendes Gefühl, wie ein Flug in den Lüften des Himmels. Eher ein  haltloses Schweben, in einem luftleeren Raum. Ein bedrückendes Gefühl, welches Sinnlosigkeit als seine Essenz hat. Nichtexistenz.

Ich strecke meine Hände vor mir aus, drehe die Handflächen geöffnet Richtung Himmel. Ich betrachte Handflächen und Finger, die unbeschmutzt, ja gar unschuldig sind. Sie wirken sanft und gleichzeitig vom Leben gezeichnet. Es sind meine.

Meine Hände, mein Blut, was durch die Adern pulsiert. Ich drehe und wende die Hände in alle Richtungen. Es ist meine Haut, meine Nägel. Ich vergrabe meine Finger in meine Handflächen, ich spüre Druck, leichten Schmerz. Es ist mein Schmerz. Es ist meine Stärke.

Ich erinnere mich an den Blick des anderen, an die Abneigung, an den Ekel. Sehe wieder zu meinen Händen hinab. Inspiziere meine Schuppen. Jede gleicht der anderen, und doch ist jede ganz unterschiedlich. Ich streiche an meiner Brust hinunter, sie fühlen sich gar nicht so hart an, sie sind flexibel, haben eine glatte Oberfläche, mit leichten Erhabenheiten. Es fühlt sich cool an, sie fühlen sich richtig an.

Eine Krabbe rennt über meine Füße, ich gehe einen Schritt zurück, sehe sie davonlaufen. Ich höre ein Gezwitscher. Hinter mir sitzt ein Vogel, der gerade einen Balztanz aufführt. Erhasche einen Blick auf einen Leoparden, der durch das Dickicht schleicht. Ich sehe sie; wie sie sind.

Und wieder erinnere ich mich an den Blick des anderen.

Ich spüre, wie in mir ein Wall an Gefühlen hochkommt. Ich balle automatisch meine Fäuste und schreie: „Ich will das nicht mehr! Ich will das wirklich nicht mehr!“ Tränen tropfen auf den Sand. Für diese Tränen brauche ich mich nicht zu schämen, sie werden wohlwollend vom Meer aufgenommen und weggespült.

Ich stampfe wütend Richtung Land, schnappe mir einen großen, harten Ast. Ramme ihn in den Sand, gehe langsam weiter und ziehe ihn hinter mir her. Hinter mir eine tiefe Furche, meine Spur. Ich ziehe einen riesigen Kreis. Vor dem Kreis das Meer, hinter ihm das Land. Er selbst auf Niemandsland.

Ich gehe grantig in das Gebüsch und ziehe Äste heraus, werfe sie wütend auf einen Haufen. Bastel mir einen Unterschlupf und entzünde in der Mitte des Kreises ein Feuer.

Ich beiße in eine süße Frucht, die ich vorher aus dem Wald geholt habe. Es wird langsam dunkel. Nur mein Feuer bleibt hell. Ich sitze nahe an den lodernden Flammen. Es knistert. Die Flammen scheinen ihre eigene Sprache zu sprechen. Ich höre ihnen zu. Sie erzählen mir eine Geschichte. Es ist eine Geschichte der Existenz, eine Geschichte von Energie und Kraft. Von Raum und Zeit. Von Beginn und Ende. Von Ergreifen und Loslassen. Sie scheinen geübt im Erzählen zu sein, denn ich höre gespannt zu.

Ich fühle mich immer wohler. Spüre die angenehme Wärme, des Erzählers. Ich fühle mich, als würde ich fließen. Ich schaue auf meine Schuppen und nehme eine Veränderung wahr. Sie haben ihren Rahmen verlassen. Meine Haut wirkt wie Quecksilber, glänzend und aalglatt. Es ist kein starrer Zustand, ich fühle mich nicht wie eine gegossene Statue, eher wie ein Chamäleon, welches seine Haut anpasst. Ausgelöst durch einen Dialog, einen stillen. Ausgelöst durch die Präsenz meines Erzählers.

Ich bin neugierig und gehe zum Wasser. Möchte alles sehen.

Ich muss mich leicht bücken, um die Reflexion im Wasser erkennen zu können. Ich kann es nicht glauben. Ich sehe ein Strahlen. Es ist wie eine Hand, die sich nach mir ausstreckt. Eine Energie, die mir immer näher kommt, die durch meine Brust strömt, sich in mir ausbreitet. Meinen Rücken ausfüllt, sich wie Flügel an meinen Armen entlang schlängelt. Ich öffne meine Handflächen. Die Energie fließt bis in die Spitzen meiner gespreizten Finger.

Ich bücke mich zum Wasser, lege behutsam meine Fingerkuppen auf die Wasseroberfläche. Auf das Bildnis meiner Selbst.

Meine Finger beginnen zu zittern. Ich drücke sie ins Wasser, tauche ein. Ich mache einen Satz, und tauche kopfüber in alles was ich fühle, in alles was ich bin.

Hinter mir ein Feuer, hinter mir ein Geplätscher. Hinter mir, alles und nichts.

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