Regenbogenlade

Ich hatte die romantische Vorstellung, dass es für jeden sowas wie eine Berufung gibt. Eine maßgeschneidete Tätigkeit, die einen erfüllt und glücklich macht.

In mir selbst tauchte immer wieder der Beruf Psychotherapeutin auf. Irgendwann dachte ich mir: „Kümmer dich mal um dich selbst, als um andere.“ Ich entdeckte meine kreative Seite, das Schreiben und Fotografieren, und ich empfand es als eine Befreiung. Ich empfand diesen Weg, als einen Weg zu meiner eigenen Selbstbestimmung. Aber wie damit Geld verdienen? Fast unmöglich und die Realität holte mich unweigerlich wieder ein.  Und die Frage, wo mein Platz in dieser Gesellschaft wohl liegt, drängte sich wieder auf, wie unangenehme Zahnschmerzen.

Was wäre, wenn ich Psychotherapeutin bin? Was kann ich da tun? Was sage ich den Leuten die sich vielleicht von den natürlichen Begebenheiten unserer Kultur gebeutelt fühlen? „Tja, so ist das.“ Traurig wäre das. Oder soll ich sie ermutigen zu rebellieren? Wäre das nicht Manipulation? Und was bringen schon Ratschläge, wenn sie zur falschen Zeit kommen, oder von der falschen Person? Sie sind komplett kontraproduktiv, vielleicht sogar gefährlich. Und hätte mir jemals jemand sagen können, was ich gebraucht hätte, um mich verändern zu können? Wahrscheinlich nicht, ich wäre sauer geworden höchstwahrscheinlich. Außerdem, ist es nicht egoistisch dem anderen seinen eigenen Weg vorzuenthalten? Seinen eigenen Schmerz, seinen eigenen Prozess, seine eigenen Wahrheiten, seine eigenen Aha-Erlebnisse?

Mein Lebensweg hat mir gezeigt, dass man Menschen nicht verändern kann, man kann sie zu nichts zwingen, was sie nicht wollen. Was ich damals als sehr schmerzlich empfunden habe, würde ich jetzt als ein Grundrecht sehen. Niemand soll gezwungen oder manipuliert werden, sich so oder so zu verhalten. Jeder hat ein Recht darauf, so zu sein wie er ist. Und Recht darauf, sich dort aufzuhalten, wo er möchte, auch wenn es demjenigen selbst schadet.

Um was ich kämpfte, war Kontrolle. Ich wollte gemocht werden, wollte nicht verlassen werden, wollte, wollte, wollte.

Bis ich erkannte, diese Kontrolle ist eine Illusion, bzw. jegliche Ergebnisse die darauf beruhen sind nicht echt. Und höchstwahrscheinlich hat meine Kontrollsucht erheblichen Schaden angerichtet. Es war mein Verhalten, und ich würde mir wünschen, dass es nie meines gewesen wäre. Ich würde mir wünschen, dass ich anders geboren worden wäre, dass ich andere Dinge erlebt hätte. Ich würde mir von ganzem Herzen wünschen jemand anderer zu sein. Aber bin ich nicht. Bin ich verdammt nochmal nicht.

Und hier kommt die ganze Verzweiflung zum Tragen. Ich habe gelernt, dass man die Umgebung nicht kontrollieren kann. Der nächste Versuch war mich selbst zu kontrollieren. Herauszufinden was mit mir nicht stimmt. Und wer sucht, findet auch. Aber was damit anfangen, dass man krank ist? Dass der Wunsch jemand anderer sein zu können mit einem Male verpufft. Dass man im Kern der bleiben wird, der man numal ist. Man seine eigene Haut nicht abstreifen kann, wie einen Pyjama am Morgen.

Und die Panik steigt auf, denn dies ist totaler Kontrollverlust. Die Umgebung nicht veränderbar, sein Selbst nicht veränderbar. Und was hat das Ganze mit der Berufung zu tun?

In meinem Fall, ist es nicht so, als hätte ich Fähigkeiten die mich z.B. einfach eine Architektin werden lassen. Meine Fähigkeiten sind auch meine Laster. Meine Fähigkeiten sind entstanden, weil es sein musste, ich hatte dabei nie eine Wahl.

Hier kommt der zweite Teil der Verzweiflung. Das was ich gut kann, und mich natürlicherweise auch zu meiner Berufung treiben würde, ist auch meine Krankheit. Keine Aussicht auf Erfüllung oder Glück. Vielleicht sogar eher ein Akt der Selbstgeißelung.

Kommen wir zum dritten Teil der Verzweiflung. Hat man einmal erlebt, wie es sich anfühlt keine Erwartungen mehr erfüllen zu müssen, sich frei entfalten zu können, dann wird alles andere fast unerträglich. Sich einen vorgefertigten Weg beugen zu müssen tut verdammt weh. Es ist das Gefühl nicht so sein zu können, wie man ist. Oder, wie man sein möchte?

Ich dachte naiverweise, dass ich mir meine Selbstbestimmung erkämpft hätte. Ich dachte, ich könnte mir eine gewisse Unabhängigkeit aufbauen. Mir meinen Raum selbst bestimmen.

Aber ich hab es nicht so mit Grenzen, mit Gesunden. Somit ist es anscheinend auch verdammt schwer für mich, mich selbst und meinen zugehörigen Raum zu definieren. Einmal ist er zu klein, dann wieder zu groß. Und eine Enttäuschung nach der anderen überschwemmt mich. Bis ich mich wieder nach oben kämpfe, Luft hole, und das Spielchen von vorne losgeht. Immer wieder ehrgeizig in den Startlöchern, um endlich zu dem verfickten Käse zu kommen. Der heilige Gral, die Erlösung, die eine Antwort, das Endziel. Macht, Kontrolle.

Brauchen wir Menschen nicht ein wenig Kontrolle? Wollen wir nicht zirka wissen was morgen geschieht? Wollen wir nicht zirka wissen, ob und wann wir was zum Essen bekommen? Wollen wir nicht zirka wissen, wie sicher eine unserer Beziehungen ist? Wollen wir nicht zirka wissen oder vermuten können, wohin unser Weg geht?

Und ich als eingefleischte Wahrheitsfanatikerin, wie war es mit meiner eigenen Wahrheit? Ich habe verbissen Bücher gelesen, um Antworten zu finden, die mir helfen könnten oder anderen. Wirklich? Oder habe ich es getan, damit ich ein Gefühl von Stolz empfinden konnte? Ein Versuch mich wertvoll und nützlich zu fühlen? Oder sogar irgendwann das Gefühl erleben zu können Anerkennung zu bekommen? „Das ist erstaunlich, das ist wirklich eine Leistung, ich bin stolz auf dich!“

Ich weiß nicht, was trauriger ist, die Tatsache, dass ich Anerkennung nicht wirklich kenne oder dass ich sie mir nicht selber geben konnte/kann. Oder vielleicht, dass ich mir immer wieder Situationen kreiere bei dem mit Sicherheit sowas wie Demütigung entsteht. Damit sich mein innerer Glaubenssatz bewahrheiten kann: „Ich passe nirgends rein. Für mich gibt es keinen Platz.“

Vielleicht ist es komplizierter, oder eben nicht nur das eine oder nur das andere. Ich weiß es nicht.

Kann ich allgemein eigentlich nur glauben, dass ich Recht habe oder nicht; Wertvoll bin, oder nicht; Krank oder gesund?

Hier meldet sich aber die Kontrolle, will man nicht immer alles schön kategorisieren? Hier eine Beurteilung, da eine Schublade. Perfekt.

Okay, jetzt sehe ich gerade die direkte Verbindung zu meinem Problem :). Wenn mir selbst bewusst ist, dass ich nicht in eine einzige Kategorie passe, aber mit Kategorien denke, was soll da schon groß rauskommen, haha. Ein bunter Regenbogen passt halt nicht in eine Schublade der aufgedröselten Farbpalette. Okay, man könnte ihn in alle Schubladen geben, aber perfekt passen wird das nicht. Steht ja rot oder blau oder was weiß ich drauf. (Hab grad gegooglt, was für Farben der Regenbogen überhaupt hat, damit ich keinen Blödsinn schreibe.)

Mein Gott soll er türkis haben, das Beispiel passt trotzdem.

Also, der Regenbogen ist ja mehr als eine dieser Farben, da wird man ihm ja nicht gerecht, wenn man ihn in eine dieser Schubladen schmeißt, nur damit endlich mal Ordnung herrscht.

Und was wird der Regenbogen denken? „Ich passe nirgends rein. Für mich gibt es keinen Platz.“ Kommt mir bekannt vor.

Versteh aber noch immer nicht ganz, wie man das wirklich lösen kann. Wie macht man eine Regenbogenlade, wenn es noch keine gibt?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.