Wandeln

Ich erwache, in einem Traum. Um mir herum eine undefinierbare Welt. Düster und doch nicht dunkel. Alles eingehüllt in einer dunkelblauen Wolke und doch nicht verschwommen.

Um mir herum bewegte Gestalten. Von einem Ort zum anderen scheinen sie zu fließen. Jeder für sich in einem Tunnel aus Wind, Wind von vorne, Sog von hinten. Jeder sieht anders aus und doch sind sie gleich.

Ich bewege mich auf einen zu, sehe ihn leicht gebückt stehend, als würde er gegen einen Sturm ankämpfen, als würde er sich auflehnen, um weiterzukommen. Hinter ihm bröckeln kleine Teile von ihm ab, die in die Dunkelheit geweht werden. Kleinste Bruchstücke seiner Existenz, kurz auflödernd bevor sie vom verschlingenden schwarzen Loch aufgenommen werden. Sein Körper, von hinten betrachtet, fast durchsichtig. Nur ein Skelett ist zu erahnen, welches aber mehr einem Energiefluss gleicht, als einer starren Struktur. Blaue glitzernde Adern durchwandern die Gestalt, ohne definierbarem Anfang oder Ende.

Ich blicke nach vorne, möchte die andere Seite sehe. Ich sehe Hände, bedeckt mit Lehm. Ich sehe einen Körper, bedeckt mit Lehm. An manchen Stellen wohlgeformt, an anderen rissig.

Ich wundere mich über dieses Wesen. Ich gehe weiter. Und sehe ein anderes, es sitzt da, ohne irgendwas zu tun. Der Anblick von hinten der gleiche, wie beim Vorherigen. Winzige Teile lösen sich von der Gestalt und fliegen davon. Doch vorne ein anderer Anblick, der Lehm vollständig abgelöst. Das Wesen so durchsichtig von hinten, wie von vorne. Kein nasser, kühlender Lehm, keine Strukturen, Formen oder Risse. Das Wesen scheint es nicht zu vermissen, aber auch nicht zu genießen.

Ich wundere mich und gehe weiter.

Ich sehe eine weitere Gestalt. Sie scheint schneller zu sein, hinter ihm ein Nebel aus glühenden Teilchen. Vorne, Hände, die Lehm schaufeln, anhäufen und verstreichen. Große Hände, die Großes vorhaben. 

Ich wundere mich. Und gehe weiter.

Ich komme zu einer Gestalt, die weder Lehm holt, verweilt, oder kämpft. Sie ist rückwärtsgewandt, mit der Hand in der Luft. Sie versucht die Funken, die sich lösen einzufangen. Das Verlorene ist ihr Begehren.

Ich fühle mich traurig. Ich sehe sie alle vor mir, wie sie unweigerlich, in jedem Moment durchbohrt werden mit einer Art kosmischen Strahlung, die Teile ihrer Existenz entreißt.

Ich fühle mich hilflos und gehe weiter.

Ich sehe eine weitere Gestalt, die sich mittelmäßig dahin bewegt, hinter ihr die verglühenden Teilchen, wie bei allen anderen. Der Gang aufrecht, vorwärtsgewandt. In regelmäßigen Abständen hält sie inne, hockt sich hin, nimmt Lehm auf und bedeckt sich damit. Sie steht wieder auf und verstreicht alles sorgfältig, sodass der alte Lehm sich mit dem Neuen verbinden kann.

Ich wundere mich, es ist anders, als bei den anderen. Nicht im Hinten, oder im Vorne. Nicht im Verlieren oder Gewinnen. Auch nicht in der Struktur der Gestalt. Und trotzdem ist es anders.

Es ist die Art, wie sie es macht. Nicht ängstlich zu verlieren, nicht gierend auf das Neue. Nicht verzagt den nächsten Schritt zu gehen, nicht zu verzagt, den Letzten zu verlassen.

Ich sehe sie alle nochmal vor mir, wie sie wandern, in ihrer Welt. Manche stehend, manche sitzend, manche laufend, manche schlendernd, aber alle sind sie in einem Wandel. Auch im Nichtstun sind sie in einem Wandel. Werden sie durchströmt und winzige Teilchen ihrer selbst werden davongetragen, hinein ins Sterben.

Jeder in seinem eigenen Tunnel, mit seinem eigenen Wind, seiner eigenen Vergänglichkeit, mit seinem ganz eigenen Kampf.

Jeder in dem Versuch die Existenz zu verstehen, seinen eigenen Rhythmus zu finden, Lücken zu füllen, Altes loszulassen und sich neu zu definieren.

Alle in dem Tunnel der Zeit. Zeit, der Druck der uns bewegt, durch uns strömt, Teile unserer Existenz mit uns nimmt und uns andere wiedergibt.

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