Unbestechlichkeit

Bildlich gesprochen, leben wir in einem Fischschwarm, der umgeben ist von einer Blase. Auf dieser Blase liegt ein schwerer Anker. Der Schwarm ist die Menschengruppe, beziehungsweise die Gesellschaft. Die Blase ist das Weltbild was wir uns kreiert haben. Und der Anker ist der Konformitätsdruck.

All jene Dinge, die wir als Gruppe bestimmt haben, alle Werte und erstrebenswerte Ziele, werden zu einem starren Konstrukt, wenn sie absolutistisch formuliert wurden. Und genau dazu neigen wir Menschen. Wir neigen zu einem Schwarz-Weiß-Denken. Wollen uns unbedingt für eines Entscheiden. Denken, dass es nur eine Lösung gibt. Annahme oder Ablehnung.

Doch das Leben ist nicht logisch, es ist viel paradoxer. Es ist oft gegen unsere Erwartungen, gegen unsere linearen Erwartungen. Das Sprunghafte ist vielleicht unbequem, weil wir es nicht kontrollieren können. Und uns entmächtigt dastehen lässt, aber es ist natürlicher. Natur ist chaotisch.

Leider haben wir die einzige Möglichkeit tabuisiert, die Befreiung aus der Blase verspricht. Aggression. Aggression bedeutet Selbstbehauptung und Eigenständigkeit. Und genau diesen Trieb haben wir schön in Ketten gelegt. Dadurch haben wir uns selbst vergeißelt. Wir haben damit den Druck erhöht. Haben die Dynamik so richtig einzementiert.

Wir haben ein Weltbild geschaffen, dass Aggression diskriminiert. Den ureigenen Lebensimpuls. Wir streben eine friedvolle, angepasste Gesellschaft an. Dass wir damit Lemminge erzeugen, war uns vielleicht damals nicht ganz bewusst. Und dass wir irgendwann selbst ein Lemming sein werden, noch weniger.

Aggression kann man aber nicht einfach aus der Welt schaffen, das ist eine Mär. Wir Menschen sind auch Tiere, und nicht nur Lämmer, sondern auch Wölfe. Und das ist voll okay so! Das ist nicht unsere Schwäche, sondern unsere Stärke! Wir werden nicht nur gefressen, wir fressen auch andere. Auch diese Sichtweise ist für viele abstoßend, sie wollen Lämmer sein und nur Gras fressen. Ist auch okay. Aber man sollte sich dann bitte nicht wundern, wenn wir krank werden und unfähig sind authentisch zu sein. Wenn wir immer unfähiger werden zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen und zu erhalten. Wenn wir immer mehr unter der modernen Zeit leiden. Wenn wir psychisch und körperlich immer mehr leiden. Also wenn man nur Gras fressen will, dann muss man auch das Leiden fressen.

Wer keinen Bock mehr auf das Herumgeblöke hat, kann ja mal auf die Jagd gehen. Falls er die erbosten Blicke der Schafe dabei aushält.

Und hier haben wir auch schon das Schlamassel. Wir Menschen wollen zu einer Gruppe gehören, wir brauchen einen wohlwollenden Blick von ihnen, um uns ganz fühlen zu können. Einer unserer größten Ängste ist es, aus dieser Gruppe ausgestoßen zu werden. Und dafür tun wir fast alles, wir verleugnen unsere Wahrnehmung, bis hin zur kompletten Selbstverleugnung. Das ist dramatisch und auch sehr traurig. Denn der Weg der Schafe, ist ein Weg. Es ist aber nicht der einzig wahre! Und die Wölfe, die sich mühsam als Schafe verkleiden, um nicht ausgestoßen zu werden, die haben genauso ein Recht auf ein freies Leben. Auf ein selbstbestimmtes Leben. Sie sind wertvoll, auch wenn sie nicht zur Norm gehören. Sie haben großartige Fähigkeiten. Die aber leider unterdrückt werden und nie zum Ausdruck kommen können. Das ist pure Folter.

Ich verwende manchmal dramatische Wörter, auch das ist oft unbequem. Aber Folter ist genau richtig platziert. Wenn wir Menschen nämlich Beziehungsprobleme haben, dann wird in unserem Gehirn jene Regionen aktiviert, die auch aktiviert sind, wenn wir Schmerzen haben. Also es ist Folter, wenn ein Mensch mit seiner gesamten Umwelt Beziehungsprobleme hat. Er leidet.

Und nein, nicht weil er falsch ist. Nicht weil er eine Diagnose braucht und eine Behandlung. Nein. Er bräuchte nur die passende Umgebung. Klingt simpel. Aber leider versteht das fast niemand.

Warum das keiner versteht? Weil echtes Verstehen auch weh tut. Es ist nicht nur eine Kopfsache, es ist eine Emotionssache, eine Herzenssache.

Wir Menschen, der Homo sapiens hat sich aber schon viel zu sehr auf das Rationale fokussiert, sodass er ziemlich abgeschnitten ist von dem tieferen Bewusstsein. Er kann sich gar nicht mehr richtig verstehen, er kann sich nur noch erdenken.

Und doch sind wir Affen, die wüten. Im schlimmsten Fall dann gegen uns selbst, weil wir ja keine wütenden Affen sein wollen. Wir wollen Gelehrte sein, selbstkontrollierte Wesen mit einem Arsenal an Wissen. Wissen ist Macht. Geld ist Macht. Gesetze sind Macht. In dieser Welt leben wir. In diesem Weltbild sind wir gefangen. Solange wir es akzeptieren.

Wahre Macht ist in meinen Augen was ganz anderes. Es gibt eine Macht, die dir keiner nehmen kann, die unverwüstlich ist. Das ist deine persönliche Integrität, deine Unbestechlichkeit, deine Treue zu dir selbst.

Und dafür müsste man mal sich selbst kennen, aber das ist eine andere Geschichte.

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