Zitat

Zarathustra Finale

Steigen wir mal bei einer Szene ein, wo Zarathustra einen Wahrsager trifft. Dieser fühlt sich nicht erkannt und reagiert mit einer sehr speziellen Geste, um einen Neubeginn herbeizuführen.

„Der Wahrsager, der es wahrgenommen, was sich in Zarathustras Seele zutrug, wischte mit der Hand über sein Antlitz hin, wie als ob er dasselbe wegwischen wollte; desgleichen tat auch Zarathustra. Und als beide dergestalt sich schweigend gefasst und gekräftigt hatten, gaben sie sich die Hände, zum Zeichen, dass sie sich wieder erkennen wollten.“

Dieser Effekt, dass alte Dinge getriggert werden, ist sehr häufig eigentlich. Spannend nur, wenn beide im Stande sind diesen Prozess wahrzunehmen und gleichzeitig bereit sind diesen wieder abzuschütteln.

„>>Du schlimmer Verkündiger<<, sprach endlich Zarathustra, >>das ist ein Notschrei und der Schrei eines Menschen; der mag wohl aus einem schwarzen Meere kommen. Aber was geht mich Menschen-Not an! Meine letzte Sünde, die mir aufgespart blieb, weißt du wohl, wie sie heißt?<<

->>Mitleiden!<<, antwortete der Wahrsager aus einem überströmenden Herzen und hob beide Hände empor – >> o Zarathustra, ich komme, dass ich dich zu deiner letzten Sünde verführe!<< –

Und kaum waren diese Worte gesprochen, da erscholl der Schrei abermals, und länger und ängstlicher als vorher, auch schon viel näher. >>Hörst du? Hörst du, o Zarathustra?<<, rief der Wahrsager , >>dir gilt der Schrei, dich ruft er: komm, komm, komm, es ist Zeit, es ist höchste Zeit!<<-

Zarathustra schwieg hierauf, verwirrt und erschüttert; endlich fragte er, wie einer, der bei sich selber zögert: >>Und wer ist das, der dort mich ruft?<<

>>Aber du weißt es ja<<, antwortete der Wahrsager heftig, >>was verbirgst du dich? Der höhere Mensch ist es, der nach dir schreit!<<

>>Der höhere Mensch?<<, schrie Zarathustra von Grausen erfasst: >>was will der? Was will der? Der höhere Mensch! Was will der hier?<< – und seine Haut bedeckte sich mit Schweiß.“

Und so ging Zarathustra auf die Suche nach dem Schreienden. Er traf verschiedene Gestalten, die er alle in seine Höhle einlud.

„Am späten Nachmittag war es erst, dass Zarathustra, nach langem, umsonstigen Suchen und Umherstreifen, wieder zu seiner Höhle heimkam. Als er aber derselben gegenüberstand, nicht zwanzig Schritt mehr von ihr ferne, da geschah das, was er jetzt am wenigsten erwartete: von neuem hörte er den großen Notschrei. Und, erstaunlich! Diesmal kam derselbe aus seiner eignen Höhle. Es war aber ein langer vielfältiger seltsamer Schrei, und Zarathustra unterschied deutlich, dass er sich aus vielen Stimmen zusammensetze: mochte er schon, aus der Ferne gehört, gleich dem Schrei aus seinem einzigen Munde klingen.

(…)

Denn da saßen sie allesamt beieinander, an denen er des Tags vorübergegangen war: der König zur Rechten und der König zur Linken, der alte Zauberer, der Papst, der freiwillige Bettler, der Schatten, der Gewissenhafte des Geistes, der traurige Wahrsager und der Esel; der hässlichste Mensch aber hatte sich eine Krone aufgesetzt und zwei Purpurgürtel umgeschlungen – denn er liebte es, gleich allen Hässlichen, sich zu verkleiden und schön zu tun. Inmitten aber dieser betrübten Gesellschaft stand der Adler Zarathustras, gesträubt und unruhig, denn er sollte auf zu vieles antworten, wofür sein Stolz keine Antwort hatte; die kluge Schlange aber hing um seinen Hals.

(…)

Zarathustra aber sprach also:

>>Ihr Verzweifelnden! Ihr Wunderlichen! Ich hörte also euren Notschrei? Und nun weiß ich auch , wo der zu suchen ist, den ich umsonst heute suchte: der höhere Mensch -:

-in meiner eignen Höhle sitzt er, der höhere Mensch!“

 

„>>Ihr mögt wahrlich insgesamt höhere Menschen sein<<, fuhr Zarathustra fort, >>aber für mich – seid ihr nicht hoch und stark genug.

Für mich, das heißt: für das Unerbittliche, das in mir schweigt, aber nicht immer schweigen wird. Und gehört ihr zu mir, so doch nicht als mein rechter Arm.

(…)

Ich brauche reine glatte Spiegel für meine Lehren; auf eurer Oberfläche verzerrt sich noch mein eignes Bildnis.

Eure Schultern drückt manche Last, manche Erinnerung; manch schlimmer Zwerg hockt in euren Winkeln. Es gibt verborgenen Pöbel auch in euch.

(…)

Nicht auf euch warte ich hier in diesen Bergen, nicht mit euch darf ich zum letzten Male niedersteigen. Als Vorzeichen kamt ihr mir nur, dass schon Höhere zu mir unterwegs sind –

– nicht die Menschen der großen Sehnsucht, des großen Ekels, des großen Überdrusses und das, was ihr den Überrest Gottes nanntet.

– Nein! Nein! Dreimal nein! Auf andere warte ich hier in diesen Bergen und will meinen Fuß nicht ohne sie von dannen heben,

– auf Höhere, Stärkere, Sieghaftere, Wohlgemutere, solche, die rechtwinklig gebaut sind an Leib und Seele: lachende Löwen müssen kommen!

Menschen die sich von alten Göttern gelöst haben, aber noch keine neuen fanden, tummeln sich jetzt um Zarathustra. Die höheren Menschen.

„Ich bin ein Gesetz nur für die Meinen, ich bin kein Gesetz für alle. Wer aber zu mir gehört, der muss von starken Knochen sein, auch von leichten Füßen –

– lustig zu Kriegen und Festen, kein Düsterling, kein Traum-Hans, bereit zum Schwersten wie zu einem Feste, gesund und heil.“

Er wartet aber nicht auf jene, die ihn vielleicht als neuen Gott verehren, sondern auf lachende Löwen, Gefestigte, bereit für Kriege und Feste.

„Habt ihr Mut, o meine Brüder? Seid ihr herzhaft? Nicht Mut vor Zeugen, sondern Einsiedler- und Adler-Mut, dem auch kein Gott mehr zusieht?“

 

„>> Der Mensch muss besser und böser werden<< – so lehre ich. Das Böseste ist nötig zu des Übermenschen Bestem.

(…)

Ihr höheren Menschen, meint ihr, ich sei da, gut zu machen, was ihr schlecht machtet?

(…)

Ihr leidet mir noch nicht genug! Denn ihr leidet an euch, ihr littet noch nicht am Menschen. Ihr würdet lügen, wenn ihr´s anders sagtet! Ihr leidet alle nicht, woran ich litt. -„

 

„Wollt ihr hoch hinaus, so braucht die eigenen Beine! Lasst euch nicht empor tragen, setzt euch nicht auf fremde Rücken und Köpfe!“

 

„Ihr höheren Menschen, euer Schlimmstes ist: ihr lerntet alle nicht tanzen, wie man tanzen muss – über euch hinweg tanzen! Was liegt daran, dass ihr missrietet!

Wie vieles ist noch möglich! So lernt doch über euch hinweg lachen! Erhebt eure Herzen, ihr guten Tänzer, hoch! höher! Und vergesst mir auch das gute Lachen nicht!

Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: euch, meinen Brüdern, werfe ich diese Krone zu! Das Lachen sprach ich heilig; ihr höheren Menschen, lernt mir – lachen!“

Sich selbst überwinden, eine wiederkehrende Botschaft. 

Dies ist ein Ausschnitt von einem schwermütigen Lied vom listigen Zauberer:

„In jeder Wildnis heimischer als vor Tempeln,

Voll Katzen-Mutwillens,

(…)

Mit lüsternen Lefzen,

selig-höhnisch, selig-höllisch, selig-blutgierig,

Raubend, schleichend, lugend liefest: –

Oder dem Adler gleich, der lange,

Lange starr in Abgründe blickt,

In seine Abgründe: – –

(…)

Also,

Adlerhaft, pantherhaft

Sind des Dichters Sehnsüchte,

Sind deine Sehnsüchte unter tausend Larven,

Du Narr! Du Dichter!

Der du den Menschen schautest

So Gott als Schaf -:

Den Gott zerreißen im Menschen

Wie das Schaf im Menschen,

Und zerreißend lachen -„

Der Gewissenhafte antwortet:

„Wehe allen freien Geistern, welche nicht vor solchen Zauberern auf der Hut sind! Dahin ist es mit ihrer Freiheit: du lehrst und lockst zurück in Gefängnisse –

– du alter schwermütiger Teufel, aus deiner Klage klingt eine Lockpfeife, du gleichst solchen, welche mit ihrem Lobe der Keuschheit heimlich zu Wollüsten laden!<<

Also sprach der Gewissenhafte; (..)

(…)

Und wahrlich, wir sprachen und dachten genug mitsammen, ehe Zarathustra heimkam zu seiner Höhle, als dass ich nicht wüsste: wir sind verschieden.

Wir suchen Verschiedenes auch hier oben ihr und ich. Ich suche mehr Sicherheit, deshalb kam ich zu Zarathustra. (…) Ihr aber, wenn ich eure Augen sehe, die ihr macht, fast dünkt mich´s, ihr sucht mehr Unsicherheit.

(…)

Furcht nämlich – das ist des Menschen Erb- und Grundgefühl; aus der Furcht erklärt sich jegliches, Erbsünde und Erbtugend. Aus der Furcht wuchs auch meine Tugend, die heißt: Wissenschaft.

Die Furcht nämlich vor wildem Getier – die wurde dem Menschen am längsten angezüchtet, einschließlich das Tier, das er in sich selber birgt und fürchtet – Zarathustra heißt es >das innere Vieh<.

Solche lange alte Furcht, endlich fein geworden, geistlich, geistig – heute, dünkt mich, heißt sie: Wissenschaft.<< –

Also sprach der Gewissenhafte; aber Zarathustra, der eben in seine Höhle zurückkam und die letzte Rede gehört und erraten hatte, warf dem Gewissenhaften eine Hand voll Rosen zu und lachte ob seiner >> Wahrheiten <<. (…)

Furcht nämlich – ist unsre Ausnahme. Mut aber und Abenteuer und Lust am Ungewissen, am Ungewagten – Mut dünkt mich des Menschen ganze Vorgeschichte.

(…)

>>Zarathustra!<< schrien alle, die beisammen saßen, wie aus einem Munde und machten dazu ein großes Gelächter, es hob sich aber von ihnen wie eine schwere Wolke. Auch der Zauberer lachte und sprach mit Klugheit: >>Wohlan! Er ist davon, mein böser Geist!“

Sind die höheren Menschen alleine untereinander, bekommen sie sich in die Haare und Schwermut macht sich breit. Kaum ist Zarathustra wieder da, verschwinden die schweren Wolken wieder.

„>>Gehe nicht davon!<<, sagte der Wanderer, der sich den Schatten Zarathustras nannte, >>bleibe bei uns, es möchte uns sonst die alte Trübsal wieder anfallen.“

 

„Sie beißen an, mein Köder wirkt, es weicht auch ihnen ihr Feind, der Geist der Schwere. Schon lernen sie über sich selber lachen: höre ich recht?

Meine Manns-Kost wirkt, mein Saft- und Kraft-Spruch: und wahrlich, ich nährte sie nicht mit Bläh-Gemüsen! Sondern mit Krieger-Kost, mit Eroberer-Kost: neue Begierden weckte ich.

Neue Hoffnungen sind in ihren Armen und Beinen, ihr Herz streckt sich aus. Sie finden neue Worte, bald wird ihr Geist Mutwillen atmen.

(…)

Der Ekel weicht diesen höheren Menschen: wohlan! das ist mein Sieg. In meinem Reiche werden sie sicher, alle dumme Scham läuft davon, sie schütten sich aus.

Sie schütten ihr Herz aus, gute Stunden kehren ihnen zurück, sie feiern und käuen wieder – sie werden dankbar.“

Hier passiert die reinste Gruppentherapie 🙂

„Schmerz ist auch eine Lust, Fluch ist auch ein Segen, Nacht ist auch eine Sonne – geht davon oder ihr lernt: ein Weiser ist auch ein Narr.

Sagtet ihr jemals ja zu einer Lust? Oh, meine Freunde, so sagtet ihr ja auch zu allem Wehe. Alle Dinge sind verkettet, verfädelt, verliebt – „

 

„ – was will nicht Lust! sie ist durstiger, herzlicher, hungriger, schrecklicher, heimlicher als alles Weh, sie will sich , sie beißt in sich, des Ringes Wille ringt in ihr –

– sie will Liebe, sie will Hass, sie ist überreich, schenkt, wirft weg, bettelt, dass einer sie nimmt, dankt dem Nehmenden, sie möchte gern gehasst sein –

– so reich ist Lust, dass sie nach Wehe durstet, nach Hölle, nach Hass, nach Schmach, nach dem Krüppel, nach Welt – denn diese Welt,o ihr kennt sie ja!

Ihr höheren Menschen, nach euch sehnt sie sich, die Lust, die unbändige, selige – nach eurem Weh, ihr Missratenen! Nach Missratenem sehnt sich alle ewige Lust.

Denn alle Lust will sich selber, drum will sie auch Herzeleid! O Glück, O Schmerz! O brich, Herz! Ihr höheren Menschen, lernt es doch, Lust will Ewigkeit,

– Lust will aller Dinge Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit!“

Hier eine spannende Verknüpfung von Leid und Lust. 

„>> Das Zeichen kommt <<, sprach Zarathustra, und sein Herz verwandelte sich. Und in Wahrheit, als es helle vor ihm wurde, da lag ihm ein gelbes mächtiges Getier zu Füßen und schmiegte das Haupt an seine Knie und wollte nicht von ihm lassen vor Liebe, und tat einem Hunde gleich, welcher seinen alten Herrn wiederfindet. Die Tauben aber waren mit ihrer Liebe nicht minder eifrig als der Löwe; und jedes Mal, wenn eine Taube über die Nase des Löwen huschte, schüttelte der Löwe das Haupt und wunderte sich und lachte dazu.

Zu den allen sprach Zarathustra nur ein Wort: >> meine Kinder sind nahe, meine Kinder << -, dann wurde er ganz stumm. Sein Herz aber war gelöst, und aus seinen Augen tropften Tränen herab und fielen auf seine Hände.“

 

„(…) Zu meiner letzten Sünde?, rief Zarathustra und lachte zornig über sein eigenes Wort: was blieb mir doch aufgespart als meine letzte Sünde?<<

– Und noch einmal versank Zarathustra in sich und setzte sich wider auf den großen Stein nieder und sann nach. Plötzlich sprang er empor –

>> Mitleiden! Das Mitleiden mit dem höheren Menschen! <<, schrie er auf, und sein Antlitz verwandelte sich in Erz. >> Wohlan! Das – hatte seine Zeit!

Mein Leid und mein Mitleiden – was liegt daran! Trachte ich denn nach Glücke? Ich trachte nach meinem Werke!

Wohlan! Der Löwe kam, meine Kinder sind nahe, Zarathustra ward reif, meine Stunde kam: –

Dies ist mein Morgen, mein Tag hebt an : herauf nun, herauf, du großer Mittag! << –

Also sprach Zarathustra und verließ seine Höhle

glühend und stark, wie eine Morgensonne,

die aus dunklen Bergen kommt.“

Na endlich, Zarathustra befreit sich von seinem eigenen Leid und vom Leid anderer. Er findet den lachenden Löwen, den Löwenübermut, den Löwenwillen in sich selber. Frieden macht sich breit, Hoffnung durchströmt ihn; er beginnt seinen Morgen, seinen Tag!

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