Zitat

Zarathustra die Zweite

Steigen wir mal ein bei den Themen Wahrheit und Tugend:

„Und nicht anders wussten sie ihren Gott zu lieben, als indem sie den Menschen ans Kreuz schlugen!

(…)

Eifrig trieben sie und mit Geschrei ihre Herde über ihren Sieg: wie als ob es zur Zukunft nur einen Steg gäbe! Wahrlich, auch diese Hirten gehörten noch zu den Schafen!“

Traurig aber wahr. Die Mär ist sehr weit verbreitet, dass es eine Wahrheit für alle gibt. Das widerspricht dem Menschsein schon an sich.

„Und andre gibt es, die sind gleich Alltags-Uhren, die aufgezogen wurde; sie machen ihr Ticktack und wollen, dass man Ticktack-Tugend heiße.

Wahrlich, an diesen habe ich meine Lust: wo ich solche Uhren finde, werde ich sie mit meinem Spotte aufziehen; und sie sollen mir dabei noch schnurren!

Und andre sind stolz über ihre Hand voll Gerechtigkeit und begehren um ihretwillen Frevel an allen Dingen: also dass die Welt in ihrer Ungerechtigkeit ertränkt wird.

Ach, wie übel ihnen das Wort >>Tugend<< aus dem Munde läuft! Und wenn sie sagen: >>ich bin gerecht<<, so klingt es immer gleich wie: >>ich bin gerächt!<<

Mit ihrer Tugend wollen sie ihren Feinden die Augen auskratzen; und sie erheben sich nur, um andre zu erniedrigen.

Und wiederum gibt es solche, die sitzen in ihrem Sumpfe und reden also heraus aus dem Schilfrohr: >>Tugend – das ist still im Sumpfe sitzen. Wir beißen niemanden und gehen dem aus dem Weg, der beißen will; und in allem haben wir die Meinung, die man uns gibt.<<„

Zarathustra ist ja ein sehr guter Menschenkenner und auch Schelm. Er beobachtet, wie die Menschen sich schön einfügen, nach gleichem Takt ticken und dies vielleicht noch als großartig ansehen. Da kann er sich dann verständlicherweise nicht mehr zurückhalten.

Gerechtigkeit für sich als Waffe zu verwenden ist die nächste Perspektive, also im Namen der Gerechtigkeit Rache zu üben oder einfach nur Unfug.

Reinster Unfug, und sehr häufig zu sehen, sind Menschen die andere bewerten oder verurteilen, eben nach ihrer Vorstellung von Werten etc.

Das Pendant dazu, ist der Mensch der sich seiner eigenen Meinung gänzlich enthält. Die Meinung der anderen ist automatisch seine eigene.

Und derart glauben fast alle daran, Anteil zu haben an der Tugend; und zum mindesten will ein jeder Kenner sein über >>Gut<< und >>Böse<<.“

 

„Mit diesen Predigen der Gleichheit will ich nicht vermischt und verwechselt sein. Denn so redet mir die Gerechtigkeit, >>die Menschen sind nicht gleich.<<„

Diese Weisheit haben wir ja mittlerweile schon schön oft gehört, leider auch hier wieder Unfug betrieben. Wir wollen immer alles schön durch den Gleichsein-Fleischwolf durchquetschen. Jegliche Ausartungen der Themen „Gleichstellung der Frau“ oder „Gendergschichtln„ zeigen das sehr schön. Aber das ist ein komplett anderes Thema.

Jetzt ab zum freien Geist:

„Dem Volke habt ihr gedient und des Volkes Aberglauben, ihr berühmten Weisen alle! – und nicht der Wahrheit!

(…)

Aber wer dem Volke verhasst ist wie ein Wolf den Hunden: das ist der freie Geist, der Fessel-Feind, der Nicht-Anbeter, der in Wäldern Hausende.

 

„Wahrhaftig – so heiße ich den, der in götterlose Wüsten geht und sein verehrendes Herz zerbrochen hat.

Im gelben Sande und verbrannt von der Sonne schielt er wohl durstig nach den quellenreichen Eilanden, wo Lebendiges unter dunklen Bäumen ruht.

Aber sein Durst überredet ihn nicht, diesen Behaglichen gleich zu werden: denn wo Oasen sind, da sind auch Götzenbilder.

Hungernd, gewalttätig, einsam, gottlos: so will sich selber der Löwen-Wille.

Frei von dem Glück der Knechte, erlöst von Göttern und Anbetungen, furchtlos und fürchterlich, groß und einsam: so ist der Wille des Wahrhaftigen.

In der Wüste wohnten von je die Wahrhaftigen, die freien Geister, als der Wüste Herren; aber in den Städten wohnen die gutgefütterten, berühmten Weisen – die Zugtiere.

Immer nämlich ziehen sie, als Esel – des Volkes Karren!“

 

„Ach, wohin soll ich nun noch steigen mit meiner Sehnsucht! Von allen Bergen schaue ich aus nach Vater- und Mutterländern.

Aber Heimat fand ich nirgends; unstet bin ich in allen Städten und ein Aufbruch an allen Toren.

Fremd sind mir und ein Spott die Gegenwärtigen, zu denen mich jüngst das Herz trieb; und vertrieben bin ich aus Vater- und Mutterländern.

So liebe ich allein noch meiner Kinder Land, das unentdeckte, im fernsten Meere; nach ihm heiße ich meine Segel suchen und suchen.

An meinen Kindern will ich es gut machen, dass ich meiner Väter Kind bin: und an aller Zukunft – diese Gegenwart!“

 

„Denn dies ist die Wahrheit: ausgezogen bin ich aus dem Hause der Gelehrten, und die Tür habe ich noch hinter mir zugeworfen.“

 

„Ich wandle unter Menschen als den Bruchstücken der Zukunft: jener Zukunft, die ich schaue.

Und das ist all mein Dichten und Trachten, dass ich in Eins dichte und zusammentrage, was Bruchstück ist und Rätsel und grauser Zufall.

Und wie ertrüge ich es, Mensch zu sein wenn der Mensch nicht auch Dichter und Rätselrater und der Erlöser des Zufalls wäre!

Die Vergangenen zu erlösen und alles >>Es war<< umzuschaffen in ein >>So wollte ich es!<< – das hieße mir erst Erlösung!“

 

„Und wer unter Menschen nicht verschmachten will, muss lernen, aus allen Gläsern zu trinken; und wer unter Menschen rein bleiben will, muss verstehn, sich auch mit schmutzigem Wasser zu waschen.

Und also sprach ich oft mir zum Troste: >>Wohlan! Wohlauf! Altes Herz! Ein Unglück missriet dir: genieße dies als dein  – Glück!<<„

Das werde ich jetzt gar nicht mit meinen Worten verunreinigen, und so stehen lassen.

Ab zu der nächsten Verwandlung:

„Aus euren Wildkatzen müssen erst Tiger geworden sein und aus euren Giftkröten Krokodile: denn der gute Jäger soll eine gute Jagd haben!“

Jetzt geht es um das Mobilisieren der eigenen Kräfte. Sie zu erkennen und nutzen zu lernen.

Schauen wir uns mal so eine innere Konfrontation an, durchzogen mit Selbstzweifel, Trotz und Scham:

„Der Zeiger rückte, die Uhr meines Lebens holte Atem -, nie hörte ich solche Stille um mich: also dass mein Herz erschrak.

Da sprach es ohne Stimme zu mir: >>Du weißt es, Zarathustra?<<

Und ich schrie vor Schrecken bei diesem Flüstern, und das Blut wich aus meinem Gesichte: aber ich schwieg.

Da sprach er abermals ohne Stimme zu mir: >>Du weißt es, Zarathustra, aber du redest es nicht!<< –

Und ich antwortete endlich gleich einem Trotzigen: >>Ja, ich weiß es, aber ich will es nicht reden!<<

Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: >>Du willst nicht, Zarathustra? Ist dies auch wahr? Verstecke dich nicht in deinen Trotz!<< –

Und ich weinte und zitterte wie ein Kind und sprach: >> Ach, ich wollte schon, aber wie kann ich es! Erlass mir dies nur! Es ist über meine Kraft!<<

Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: >>Was liegt an dir, Zarathustra! Sprich dein Wort und zerbrich!<< –

Und ich antwortete: >>Ach, es ist mein Wort? Wer bin ich? Ich warte des Würdigeren; ich bin nicht wert, an ihm auch nur zu zerbrechen.<<

Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: >>Was liegt an dir? Du bist mir noch nicht demütig genug. Die Demut hat das härteste Fell.<< –

Und ich antwortete: >>Was trug nicht schon das Fell meiner Demut! Am Fuße wohne ich meiner Höhe: wie hoch meine Gipfel sind? Niemand sagte es mir noch. Aber gut kenne ich meine Täler.<<

Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: >>O Zarathustra, wer Berge zu versetzen hat, der versetzt auch Täler und Niederungen.<< –

Und ich antwortete: >>Noch versetzte mein Wort keine Berge, und was ich redete, erreichte die Menschen nicht. Ich ging wohl zu den Menschen, aber noch langte ich nicht bei ihnen an.<<

Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: >>Was weißt du davon! Der Tau fällt auf das Gras, wenn die Nacht am verschwiegensten ist.<< –

Und ich antwortete: >>Sie verspotten mich, als ich meinen eigenen Weg fand und ging; und in Wahrheit zitterten damals meine Füße.

Und so Sprachen sie zu mir: du verlerntest den Weg, nun verlernst du auch das Gehen!<<

Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: >>Was liegt an ihrem Spotte! Du bist einer, der das Gehorchen verlernt hat: nun sollst du befehlen!

Weißt du nicht, wer allen am nötigsten tut? Der Großes befiehlt. Großes vollführen ist schwer: aber das Schwerere ist, Großes befehlen.

Das ist dein Unverzeihlichstes: du hast die Macht, und du willst nicht herrschen.<< –

Und ich antwortete: >>Mir fehlt des Löwen Stimme zu allem Befehlen.<<

Da sprach es wieder wie ein Flüstern zu mir: >>Die stillsten Worte sind es, welche den Sturm bringen. Gedanken, die mit Taubenfüßen kommen, lenken die Welt.

O Zarathustra, du sollst gehen als ein Schatten dessen, was kommen muss: so wirst du befehlen und befehlend vorangehen.<<

Und ich antwortete: >>Ich schäme mich.<<

Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: >>Du musst noch Kind werden und ohne Scham.

Der Stolz der Jugend ist noch auf dir, spät bist du jung geworden: aber wer zum Kinde werden will, muss noch seine Jugend überwinden.<< –

Und ich besann mich lange und zitterte. Endlich aber sagte ich, was ich zuerst sagte: >>Ich will nicht.<<

Da geschah ein Lachen um mich. Wehe, wie dies Lachen mir die Eingeweide zerriss und das Herz aufschlitzte!

Und es sprach zum letzten Mal zu mir: >>O Zarathustra, deine Früchte sind reif, aber du bist nicht reif für deine Früchte!

So musst du wieder in die Einsamkeit: denn du sollst noch mürbe werden.<<

Auch Zarathustra ist nicht gefeit davor sich vor seinem eigenen Potenzial zu ängstigen oder sich sogar dafür zu schämen. Wir wollen schon als Kinder nicht anders sein als andere, wir passen uns an unsere Umgebung an. Wenn in dieser Phase jegliches zeigen der eigenen Fähigkeiten negative Konsequenzen hat, dann werden diese immer weniger gezeigt. Im schlimmsten Fall entsteht daraus ein enormer Konflikt: Gruppenzugehörigkeit oder Ich.

Sich im späteren Leben dann zu zeigen löst dann automatisch ungute Gefühle aus. Angst, Selbstzweifel, Scham, Trotz, Wut.

Zarathustra hört sein Potenzial, kann es aber noch nicht nutzen. Er schämt sich zu viel dafür, seine Worte wurden jeher immer verspottet, er nie ernst genommen. Somit seine Worte sehr naheliegend: „Ich will nicht!“ Er hat definitiv keinen Bock mehr irgendwas zu erklären, erzählen oder zu verbreiten.

Der Trotz hat ihn damals vor weiteren Demütigungen bewahrt. Um jetzt weiter gehen zu können, muss er lernen davon loszulassen, von seiner alten Überlebensstrategie.

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